Liberty News - Wer hat als Selbstständiger Anspruch auf Sozialhilfe?

Auch Selbstständige haben unter Umständen Anspruch auf Sozialhilfe. Ein wichtiges Kriterium ist dabei die Wirtschaftlichkeit. Und: Sozialhilfe ist zur Deckung des persönlichen Lebensbedarfs gedacht, nicht zur Finanzierung einer Geschäftstätigkeit.

In den Jahren vor der Corona-Pandemie bewegte sich die Zahl der Selbstständigerwerbenden in der Sozialhilfe ziemlich stabil bei knapp 2000 Personen. Gemessen an der Gesamtzahl der Selbstständigerwerbenden in der Schweiz, die je nach Definition mehrere Hunderttausend Personen umfasst, ist diese Zahl eher klein. 2020 erhöhte sich die Zahl der Selbstständigerwerbenden in der Sozialhilfe zwar um rund ein Drittel, sank aber im Folgejahr auf rund 2100 Personen und erreichte damit ungefähr wieder das Niveau vor der Pandemie, wie Ingrid Hess, Leiterin Kommunikation, Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), in «Soziale Sicherheit CHSS» schreibt.

Doch in welchen Fällen haben Selbstständige Anspruch auf Sozialhilfe? Der Beitrag von Ingrid Hess gibt die Antworten der Empfehlungen der SKOS in gekürzter Form wieder. Auf die Definition von Selbstständigkeit, die ebenfalls Teil der Empfehlungen ist, wird nicht näher eingegangen.

Haupt- oder Nebenerwerb?

Zunächst muss betont werden: Sozialhilfe funktioniert nach dem Subsidiaritätsprinzip – sowohl für Arbeitnehmende als auch für Selbstständige. Vor einer Prüfung und Bemessung der Sozialhilfe ist sicherzustellen, dass vorgehende Leistungen von Bund, Kantonen und Privaten ausgeschöpft sind. Im Bedarfsfall hat Sozialhilfe bevorschussend zu unterstützen.

Aus Sicht der Sozialhilfe gilt es zunächst grundsätzlich abzuklären, welchem Zweck die selbstständige Erwerbsarbeit dient, erklärt Hess. Handelt es sich um einen Haupterwerb, welcher der betroffenen Person die wirtschaftliche Unabhängigkeit sichern soll? Oder um einen Nebenerwerb, der wichtig ist, weil er der sozialen Integration dient oder für eine Tagesstruktur sorgt?

Im ersten Fall sind die Voraussetzungen für einen Sozialhilfebezug strenger als im zweiten. Personen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Haupterwerb ausführen wollen, kann die Sozialhilfe nur zeitlich befristet und mit Auflagen unterstützen.

Betrieb muss wirtschaftlich sein

Ein zentrales Kriterium für den Anspruch auf Sozialhilfe von Selbstständigerwerbenden ist die Wirtschaftlichkeit des Betriebs. Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist dann wirtschaftlich im Sinne der Sozialhilfe, wenn sie für die betreffende Person und die von ihr Abhängigen existenzsichernd ist. Während dem Sozialhilfebezug gilt das Ziel, dass eine selbstständige Erwerbstätigkeit innerhalb der Frist von bis zu sechs Monaten wirtschaftlich werden kann. Der Anspruch auf Sozialhilfe kann trotz selbstständiger Erwerbstätigkeit über diese Frist hinaus verlängert werden, wenn eine Erreichung des Ziels innerhalb einer Nachfrist als realistisch erachtet wird.

Eine günstige Prognose der Wirtschaftlichkeit ist jedoch nicht in jedem Fall gleichermassen Voraussetzung. Die Anforderung gilt dann als eingeschränkt, wenn die selbstständige Erwerbstätigkeit der sozialen Integration dient. In diesen Fällen wird kein existenzsicherndes Einkommen angestrebt. Es ist jedoch vorauszusetzen, dass die Einnahmen in der gesetzten Frist grundsätzlich mindestens den Betriebsaufwand (inkl. gesetzlich vorgesehene Beitragspflichten für die Sozialversicherungen der ersten Säule) decken.

Betriebs- und Sozialhilfebudget müssen getrennt werden

Wie Hess weiter ausführt, erwächst ein Anspruch auf finanzielle Unterstützung nur für diejenigen, welche nicht oder nicht rechtzeitig in der Lage sind, die materielle Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Ansprüchen zu decken. Diese Bedarfsprüfung ist für die Sozialdienste bei Selbstständigerwerbenden jedoch relativ aufwendig, weil eine klare Trennung zwischen Betriebs- und Sozialhilfebudget gemacht werden muss. Denn die Sozialhilfe ist ausschliesslich zur Deckung des persönlichen Lebensbedarfs gedacht, nicht zur Finanzierung einer Geschäftstätigkeit. Vorgeschrieben sind etwa getrennte Bankkonten – eines für das Betriebsbudget und eines für das Sozialhilfebudget. Ist dies nicht der Fall, wird die gesuchstellende Person angewiesen, dies zu veranlassen.

Einnahmen aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nicht zwingend für den Geschäftsbetrieb oder für obligatorische Sozialversicherungsbeiträge benötigt werden, sind beim Sozialhilfebudget als Einnahmen anzurechnen. Nicht liquide Vermögenswerte, die für einen akzeptierten Geschäftsbetrieb benötigt werden, sind im Sozialhilfebudget hingegen nicht zu berücksichtigen.

Bei der Zuteilung der Vermögenswerte ist von den unterstützten Personen konkret darzulegen, ob und weshalb etwas zum Geschäftsvermögen gehören soll. Wenn dieser Nachweis nicht ausreichend erbracht wird, kann der betreffende Wert beim Sozialhilfebudget als verwertbar angerechnet werden. Zudem ist es erlaubt, dass der Verkauf eines unverhältnismässig hohen Vermögenswerts und der Wechsel auf einen günstigen Ersatz verlangt wird, damit der erzielte Überschuss als Einnahme angerechnet werden kann (beispielsweise bei einem wertvollen Geschäftsauto).

Beitragslücken vermeiden

Hinsichtlich einer längerfristigen sozialen Absicherung haben Sozialhilfeorgane nach Möglichkeit zu prüfen, ob um Unterstützung ersuchende Selbstständigerwerbende sozialversicherungsrechtlich ausreichend abgesichert sind. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass gesetzlich vorgesehene Beitragspflichten für Sozialversicherungen (AHV/IV/EO) zu erfüllen sind und dass keine Lücken im Versicherungsschutz bestehen dürfen (eine gute Übersicht über Beitragspflichten und Anspruchsberechtigungen von Selbstständigerwerbenden findet sich hier).

Die SKOS empfiehlt zudem, dass Sozialhilfeorgane bei der Unterstützung von Selbstständigerwerbenden eine Rückerstattung von Sozialhilfe sicherstellen für den Fall, dass nach einer allfälligen Aufgabe der Tätigkeit und Liquidation des Betriebs noch Vermögenswerte übrigbleiben. Für eine Sicherung der Rückerstattung bevorschussender Unterstützung eignen sich unter anderem Rückerstattungsvereinbarungen.

Besteht ein Eingriff in den Wettbewerb?

Bei der Beantwortung der Frage, ob und wie eine selbstständigerwerbende Person mit Sozialhilfe unterstützt wird, sind auch mögliche Wettbewerbsverzerrungen zu berücksichtigen. Als wettbewerbsverzerrend gelten grundsätzlich jene Situationen, in denen eine Tätigkeit nur wegen ergänzender Unterstützung mit Sozialhilfe ausgeübt werden kann und die Person daher gegenüber anderen Personen in der Branche, die existenzsichernd wirtschaften müssen, bevorteilt wird. Insbesondere wenn die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist, oder wenn sie trotz günstiger Prognose innerhalb der gesetzten Frist nicht erreicht wird, haben Selbstständigerwerbende ihre Tätigkeit unter anderem auch zur Verhinderung einer längerfristigen Wettbewerbsverzerrung wegen Sozialhilfeunterstützung zu beenden.

Bei selbstständiger Erwerbstätigkeit zur sozialen Integration hingegen ist von einer längerfristigen Unterstützung durch die Sozialhilfe auszugehen. In diesen Fällen sind möglichen Wettbewerbsverzerrungen aber dennoch Beachtung zu schenken. Eine fortdauernde Unterstützung scheint mit Blick auf andere Marktteilnehmer dann möglich, wenn Dienste nur in sehr bescheidenem Umfang oder in einer Nische angeboten werden.

Muss die Selbstständigkeit aufgegeben werden?

Abschliessend hält Hess fest, dass die selbstständige Erwerbstätigkeit aufgegeben werden muss, wenn die genannten Anforderungen nicht erfüllt werden. Können Selbstständigerwerbende ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr selbstständig mit ihren Einnahmen und Vermögen decken, so haben sie nach eigenen Kräften zur Verminderung und Behebung der Bedürftigkeit beizutragen.

Diese Pflicht umfasst die Suche und Aufnahme einer zumutbaren Anstellung. Sofern gesundheitlich zumutbar, müssen sich die Betroffenen bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Arbeitsvermittlung und zur Suche und Aufnahme einer existenzsichernden Anstellung verpflichten.