Liberty News - Sind die BVV-2-Anlagerichtlinien ein Auslaufmodell?

Vorsorgeeinrichtungen müssen bei der Vermögensbewirtschaftung offizielle Vorgaben beachten. Diese werden seit längerem hinterfragt. Ist das gerechtfertigt?

Die Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2) enthält ausdrückliche Vorgaben, wie Vorsorgeeinrichtungen ihre Anlagevermögen zu bewirtschaften haben. Doch warum sind diese Anlagerichtlinien wichtig? Warum werden sie regelmässig kritisiert und sollen geändert werden? Diesen Fragen ist Sven Ebeling von Asset Servicing Switzerland der UBS Schweiz nachgegangen.

Anlageerträge können nicht verordnet werden

Die Anlageerträge sind – neben den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen – ein wesentlicher Faktor, um die angestrebten Renten erwirtschaften zu können. Wären die Anlageerträge hoch genug, würden sie das Problem einer hinreichenden Finanzierung der Renten alleine lösen. Leider kann die Höhe der erzielten Anlageerträge nicht verordnet werden. Es kann nur erwirtschaftet werden, was die Finanzmärkte hergeben. Umso wichtiger ist eine ausgeklügelte Anlagestrategie. Damit bei jeder Vorsorgeeinrichtung eine angemessene Anlagestrategie angewendet wird, braucht es sinnvolle Rahmenbedingungen in Form von praktikablen Anlagerichtlinien.

Eine gute Anlagestrategie ist zentral

Da die Anlageerträge in der 2. Säule eine so gewichtige Rolle spielen, ist eine gute Anlagestrategie zentral. Das Anlagejahr 2022 hat gezeigt, mit welchen Herausforderungen Anlageverantwortliche konfrontiert sein können. Der Kollaps der Diversifikationseigenschaften in einem gemischten Portfolio, steigende Inflationsraten und Zinsen, steigende Rohstoffpreise, zunehmende geopolitische Risiken und Rezessionsängste haben es den Anlegern enorm schwer gemacht. Aber auch im laufenden Jahr gibt es kein einfaches Rezept für das erfolgreiche Anlegen von Vorsorgegeldern.

BVV-2-Anlagerichtlinien geben Anlageparameter vor

Die aktuellen Anlagerichtlinien in der BVV 2 werden in den elf Artikeln 49 bis 59 der Verordnung übersichtlich aufgeführt. Zunächst werden allgemeine Anforderungen an den Vermögensbewirtschaftungsprozess, und insbesondere an das Risikomanagement, gestellt. Zudem wird erläutert, wie mit dem Zielkonflikt von Ertrag, Sicherheit und Liquidität umzugehen ist, und welche Diversifikationsprinzipien zu befolgen sind. Abschliessend wird ein Katalog an «zulässigen» Anlagen aufgeführt, kombiniert mit spezifischen Limiten auf Stufe Anlagekategorien und Einzelschuldner. Diese werden ergänzt durch Sonderbestimmungen zu Immobilien, derivativen Finanzinstrumenten und Anlagen beim Arbeitgeber. Besonders erwähnenswert ist gemäss Ebeling Art. 50, Abs. 4. Es handelt sich dabei um eine Ausnahmeklausel, die einen erweiterten Handlungsspielraum bietet, indem sie erlaubt, die vorgegebenen Limiten zu überschreiten, sofern eine schlüssige, qualifizierte Begründung erfolgt.

Vorgaben schüren Kritik

An den BVV-2-Anlagerichtlinien wird jedoch Kritik geäussert. Dabei stehen vier Punkte im Zentrum:

  1. Die Anlagerichtlinien würden – vor allem aufgrund der vorgegebenen Limiten – ein zu enges Korsett für die Anlagetätigkeit der Vorsorgeeinrichtungen bilden.
  2. Sie würden das Ertragspotenzial unnötig einschränken.
  3. Sie förderten ein vorgetäuschtes oder gar irreführendes Risikoverständnis.
  4. Sie würden einen mangelnden Anreiz setzen, den Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz zu fördern.

Bilden die Limiten für Anlagekategorien ein zu enges Korsett?

Die Antwort lautet gemäss Ebeling nein. Die Allokation in alternative Anlagen (Hedge Funds, Private Equity, Infrastrukturanlagen, Rohstoffe) etwa habe während der letzten 17 Jahre zu keinem Zeitpunkt mehr als 10% betragen, weiss Ebeling. Er stützt sich dabei auf die beobachtbaren, durchschnittlichen Vermögensallokationen von Vorsorgeeinrichtungen gemäss den Erhebungen der «Pensionskassen Performance» von UBS. Dies obwohl die aktuellen Richtlinien eine Gesamtallokation in solche Anlagen von insgesamt 30% zuliessen (15% alternative Anlagen, 10% Infrastrukturanlagen, 5% Schweizer Privatanlagen). Und er merkt an, dass dies für das gesamte Grössenspektrum an Vorsorgeeinrichtungen gelte, also für kleine, mittlere als auch für grosse Kassen. Diejenigen Kassen, die bei ihrer Anlagetätigkeit dennoch eingeengt seien, könnten und müssten auf die erwähnte Ausnahmeklausel zurückgreifen.

Es gilt die Risiken gut abzuwägen

Gewisse politische Vorstösse fordern den Übergang zur sogenannten ‘Prudent Investor Rule’, einem im amerikanischen und britischen Recht verankerten Anlageprinzip. Dabei gelten allgemeine Vorgaben bei der Erfüllung von treuhänderischen Pflichten, wie sie typischerweise ein Stiftungsrat ausübt. Diese allgemeinen Vorgaben gelten für jegliche Anlageentscheide, die insbesondere mit Sorgfalt, Umsicht und basierend auf soliden finanztheoretischen Kenntnissen zu erfolgen haben, wie Ebeling ausführt. Auf detaillierte Vorschriften im Sinne eines abschliessend definierten Anlageuniversums oder expliziter Limiten sei verzichtet worden.

BVV-2-Anlagerichtlinien wurden bereits angepasst

In jüngster Zeit kam es auch wegen der geäusserten Kritik zu zwei Anpassungen der Anlagerichtlinien in der BVV 2. Im Oktober 2020 wurden Infrastrukturanlagen als eigenständige Anlagekategorie mit einer maximal zulässigen Quote von 10% am Anlagevermögen eingeführt. Infrastrukturanlagen gehen seither nicht mehr zulasten der Kategorie Alternative Anlagen, die weiterhin maximal 15% des Anlagevermögens ausmachen dürfen. In der Folge sei eine verstärkte Nachfrage nach Infrastrukturanlagen beobachtet worden, sagt Ebeling, da diese beispielsweise über positive Diversifikationseigenschaften verfügten. Die Umsetzung von Infrastrukturanlagen sei jedoch nicht trivial, mahnt er, sondern mit einigen Herausforderungen verbunden. Basierend auf verfügbaren Allokationsstatistiken scheine die Quote von 10% zumindest aktuell als grosszügig bemessen, fügt er an.

Eine zweite Anpassung erfolgte auf Anfang 2022, als die eigenständige Anlagekategorie ‘Nicht kotierte Schweizer Anlagen’ mit einer zulässigen Quote von 5% in den Anlagekatalog aufgenommen wurde. Auch diese Investitionsmöglichkeit geht somit nicht mehr zulasten der alternativen Anlagen. Grösstes Hindernis bei der Umsetzung solcher Investitionen sei der Umstand, dass zurzeit kaum geeignete Anlageprodukte zur Auswahl stünden, so Ebeling. Eine Wirkung im Anlageverhalten von Vorsorgeeinrichtungen sei darum bisher nicht zu beobachten gewesen. Ob diese Anpassung notwendig gewesen sei, werde sich erst in Zukunft zeigen, meint er.

Vorsorgeeinrichtungen orientieren sich auch an den Empfehlungen des ASIP

Die Rahmenbedingungen werden allerdings nicht nur durch die BVV-2-Anlagerichtlinien definiert. So orientieren sich Vorsorgeeinrichtungen beispielsweise auch an den Empfehlungen und Standards, welche vom Schweizerischen Pensionskassenverband ASIP ausgesprochen werden. Ebeling führt hier die ESG-Wegleitung an, die der ASIP im Juli 2022 publiziert hat. Die Wegleitung wurde mit den ESG-Reporting-Standards ergänzt, die im Dezember 2022 veröffentlicht wurden und bereits Anfang 2023 in Kraft getreten sind. Laut Ebeling dürfte die Berücksichtigung von ESG-Prinzipien beim Festlegen und Umsetzen der Anlagestrategie fundamentalere Auswirkungen auf die Anlagetätigkeit haben als punktuelle Anpassungen der BVV-2-Anlagerichtlinien.

Anlagetätigkeit wird auch von Regularien beeinflusst

Der Handlungsspielraum in der Anlagetätigkeit wird auch durch Möglichkeiten auf anlageorganisatorischer Ebene beeinflusst. Beachtenswert ist hier eine Änderung des Kollektivanlagegesetzes (KAG), wie Ebeling betont, die das Parlament im Dezember 2021 verabschiedet hat. Sie führt eine neue Fondskategorie, den Limited Qualified Investor Fund (L-QIF) ein. Der L-QIF ist eine Alternative zu bestehenden ausländischen Fondsprodukten wie etwa dem RAIF (Reserved Alternative Investment Fund) in Luxemburg. Er soll zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Fondsplatzes und zur Förderung von dessen Innovationskraft beitragen. Der L-QIF bedarf keiner Bewilligung und Genehmigung der FINMA (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht) und profitiert von vergleichsweise liberalen Anlagevorschriften vor allem im Bereich Alternative Anlagen. Diese Freiheiten gehen jedoch mit strengen Transparenzanforderungen einher, und eine Rückdelegation der Vermögensverwaltung ist nicht erlaubt. Wie Ebeling anmerkt, dürfte der L-QIF nur für grössere Pensionskassen sowie Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen von Interesse sein. Die Vernehmlassung zu den Ausführungsbestimmungen wurde im Dezember 2022 abgeschlossen. Mit dem Inkrafttreten kann nicht vor August 2023 gerechnet werden.

Aktuelle BVV-2-Anlagerichtlinien sind vertretbar und flexibel

Entsprechend diesen Ausführungen folgert Ebeling, dass die gegenwärtigen BVV-2-Anlagerichtlinien durchaus vertretbar und hinreichend flexibel seien. Insbesondere für kleinere und mittlere Kassen böten sie eine hilfreiche Orientierung, wie Ebeling erklärt. Anlagerichtlinien könnten jedoch nie als «in Stein gemeisselt» gelten, sondern müssten an sich verändernde Bedürfnisse und neue Anforderungen angepasst werden. Aufgrund ihres zentralen Stellenwerts für die Anlagetätigkeit der Vorsorgeeinrichtungen sollten Anpassungen jedoch stets gut überlegt sein, rät er.