Strukturreform in der beruflichen Vorsorge erhitzt die Gemüter

Ende November hat der Bundesrat die Verordnungen zur Umsetzung der Strukturreform in der beruflichen Vorsorge (Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge BVG) in die Vernehmlassung geschickt. Diese dauert bis zum 28. Februar 2011. Das Parlament hat die Strukturreform in der beruflichen Vorsorge am 19. März 2010 verabschiedet. Zu ihrer Umsetzung werden zwei Verordnungen angepasst: Die Verordnung über die Aufsicht in der beruflichen Vorsorge (BVV1) und die Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV2). Zudem wurde die neue Verordnung über die Anlagestiftungen (ASV) geschaffen.

Schärfere Vorschriften für Akteure und Verwaltung von Vorsorgeeinrichtungen

Ziel der Reform ist es, die Aufsicht über Vorsorgeeinrichtungen insgesamt zu stärken. Dazu werden die Anforderungen an die Akteure in der zweiten Säule verschärft. Auch wird die Transparenz in der Verwaltung von Pensionskassen erhöht, um Missbräuche möglichst zu verhindern. Die entsprechenden Bestimmungen werden durch die Anpassung der BVV2 präzisiert.

Neu werden an die Integrität und Loyalität aller mit der Verwaltung einer Vorsorgeeinrichtung oder deren Vermögen betrauten Personen konkrete Anforderungen gestellt. Dazu zählen etwa ein guter Ruf, eine einwandfreie Geschäftstätigkeit sowie die Vermeidung von Interessenskonflikten. Zudem müssen Rechtsgeschäfte, welche die Vorsorgeeinrichtungen mit Nahestehenden abschliessen, offengelegt und von der Revisionsstelle geprüft werden. Weiter wird vorgeschrieben, dass Vermögensvorteile, die Personen und Institutionen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit für die Vorsorgeeinrichtung von Dritten erhalten, zwingend an die Vorsorgeeinrichtung abgeliefert werden müssen. Verboten werden neben dem sogenannten Front Running auch das Parallel und After Running, bzw. die Nutzung von Insiderwissen aus der Tätigkeit für Vorsorgeeinrichtungen bei Börsengeschäften. Die Verwaltungskosten müssen in der Jahresrechnung detaillierter als bisher ausgewiesen werden. Um den Governance-Bestimmungen Nachdruck zu verleihen, sind auch die Strafbestimmungen im BVG entsprechend ergänzt worden.

Strengere Aufsicht über die Vorsorgeeinrichtungen

Die Aufgaben der Revisionsstelle, des Experten für berufliche Vorsorge und des obersten Organs von Vorsorgeeinrichtungen werden klarer umschrieben. Diese wichtigen Akteure werden damit stärker in die Pflicht genommen. Die heutige Direktaufsicht des Bundesamtes für Sozialversicherungen über Vorsorgeeinrichtungen mit nationalem oder internationalem Charakter geht an die Kantone über. Die Oberaufsicht wird neu von einer unabhängigen Oberaufsichtskommission wahrgenommen, die ein professionelles Sekretariat erhält. Aufgabe der Kommission ist es, für eine einheitliche Aufsichtspraxis und die Stabilität des Systems der 2. Säule zu sorgen. Es gibt somit keine Aufsicht des Bundes mehr. Die kantonalen Aufsichtsbehörden müssen neu verwaltungsunabhängig in der Form einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestaltet werden. Die Strukturreform dürfte die Entwicklung hin zu regionalisierten Aufsichtsstrukturen weiter fördern. Bereits heute bestehen zwei Aufsichtskonkordate (Ostschweiz, Zentralschweiz), weitere sind geplant. Diese strukturellen Änderungen bedingen eine Vielzahl von Anpassungen der BVV1.

Neue gesetzliche Bestimmungen für BVG-Anlagestiftungen
 

Durch die Strukturreform werden die Anlagestiftungen erstmals gesetzlich erfasst. Die neue Verordnung über die Anlagestiftungen (ASV) regelt entsprechend den zugelassenen Anlegerkreis, die Äufnung und Verwendung des Vermögens, dessen Anlage, die Buchführung, Rechnungslegung und Revision, die Rechte der Anleger sowie organisatorische Aspekte. Die Bestimmungen orientieren sich im Wesentlichen an der bestehenden Praxis. Die Anlagestiftungen werden von der Oberaufsichtskommission beaufsichtigt.

Die Governance- und Transparenz-Bestimmungen sollen am 1. Juli 2011 in Kraft treten, die Bestimmungen zur neuen Aufsichtsstruktur und die neue Verordnung über Anlagestiftungen am 1. Januar 2012. Ab diesem Zeitpunkt wird auch die Oberaufsichtskommission ihre Arbeit aufnehmen.

Starke Opposition gegen neue Bestimmungen

Die Verordnungen zur Strukturreform sorgen vor allem bei den Anlagestiftungen für grossen Unmut. Viele sehen darin eine «Bürokratie-Übung», da durch die Schaffung einer Oberaufsicht die zweite Säule stark verteuert und noch schwerfälliger gemacht würde. Kritisiert wird auch, dass die von der BVG-Kommission vorgebrachten Änderungswünsche in der Vernehmlassung offenbar kaum berücksichtigt wurden und man in der Schlussberatung auf eine Abstimmung verzichtet habe.

Massive Kostenzunahme für Vorsorgeeinrichtungen

Mit der geplanten Oberaufsicht kommen auf die Vorsorgeeinrichtungen künftig sehr viel höhere Kosten zu. Derzeit verrechnet die Zentralschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht (ZBSA) den Vorsorgeeinrichtungen für die Prüfung einer Jahresrechnung rund 6‘000 Franken. Diese Kosten dürften in Zukunft massiv steigen. Dass durch die Oberaufsicht allerdings Anlageskandale verhindert werden könnten, gilt als Wunschdenken. Dafür sei die Aufsicht zu weit entfernt von den Vorsorgeeinrichtungen. In der Praxis liessen sich Bestimmungen letztlich umgehen. Wenn Anlagebetrügereien mit dem Geld der Versicherten in der beruflichen Vorsorge aufgedeckt werden sollten, müssten dies die zuständigen Pensionskassenexperten oder die interne Revision erkennen. Diese Spezialisten seien viel näher an den Verantwortlichen in der Pensionskasse als eine Aufsicht dies je sein könne.

Vernehmlassungsprozess hat begonnen

Jede Pensionskasse der Schweiz hat bis zum 28. Februar Zeit, Stellung zu den geplanten Verordnungsbestimmungen zu nehmen. Wie der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP bisher dazu geäussert hat, dürfe durch neue Verordnungsbestimmungen nicht jeder Ansatz eigenverantwortlicher, innovativer Führung im Keim erstickt werden. Es gehe vielmehr darum, sicherzustellen, dass nur dort wo es notwendig sei praxistaugliche Bestimmungen erlassen würden. Der Handlungsspielraum des paritätischen Organs dürfe nicht weiter eingeschränkt werden.