Demografische Entwicklung - Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Gesellschaft

Die Alterung der Gesellschaft schafft nicht nur Probleme für die Finanzierung der Altersvorsorge, sondern stellt auch die Alterspflege vor grosse Herausforderungen. So müssen immer weniger Pflegende immer mehr Betagte versorgen.

Unsere Gesellschaft ist doppelt gefordert. Für die staatliche und die private Altersvorsorge braucht es einen politischen Kompromiss, um Leistungen, Beiträge und Rentenalter in Einklang zu bringen. Die Sicherstellung der Alterspflege ist jedoch komplexer, da sie nicht nur politische Entscheide benötigt, sondern auch die Ausbildung von Fachpersonal, die Entwicklung neuer Pflegemodelle und den Bau von Infrastrukturen. All das braucht Visionen, Initiativen und vor allem eins – eine lange Vorlaufzeit, warnt Jérôme Cosandey von der Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse.

Gruppe der 80- und der 80+-Jährigen wächst am stärksten
Doppelt wird auch die Alterspflege tangiert, denn immer mehr Betagten stehen künftig immer weniger professionelle und freiwillige Pflegende gegenüber, wie Cosandey unterstreicht. Gerade die 80- und die 80+-Jährigen in der Schweiz gehörten zu der Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Wachstumsrate. So werde die Zahl der über 80-Jährigen in zwanzig Jahren um satte 77% zunehmen, während die Gesamtbevölkerung bis dahin nur um 12% wachse.

Bis 2060 würden gemäss Bundesamt für Statistik 1,15 Millionen Menschen der Altersgruppe der 80+-Jährigen angehören. Davon würden rund 60’000 etwa 100 Jahre alt oder älter, was in etwa der Gesamtbevölkerung von Biel oder Lugano entspreche.

Alterspflege steht vor grossen Herausforderungen
Avenir Suisse sieht auf die Alterspflege in der Schweiz fünf grosse Herausforderungen zukommen. Erstens ändere sich das Patientenprofil stark. Dank medizinischem Fortschritt überlebten mehr Menschen Herzinfarkte und Krebserkrankungen. Künstliche Gelenke ermöglichten ihnen, länger selbstständig zu bleiben. Sie träten dadurch später ins Pflegeheim ein, dafür seien ihre Beschwerden komplexer und chronisch (etwa Alzheimer Erkrankung). Somit änderten sich die Bedürfnisse der Pensionäre grundlegend und die Anforderungen an Ärzte und Pflegepersonal würden steigen.

Es braucht mehr Fachpersonal
Zweitens brauche es mehr Fachpersonal für die Betreuung zahlreicherer und pflegeintensiverer Patienten. Hier spiele die Alterung der Schweizer Gesellschaft gegen uns. Würden heute jeder über 80-jährigen Person jeweils 12 Personen im Erwerbsalter gegenüberstehen, so halbiere sich dieses Verhältnis in den kommenden zwanzig Jahren. Ohne intensive Bildungsprogramme, Immigration und Effizienzsteigerungen drohe ein Personalmangel in der Alterspflege.

Mehr Infrastruktur schafft höhere Kosten
Drittens fehlten Infrastrukturen, um alle Pensionäre aufzunehmen. Es brauche 30 000 zusätzliche Betten gemäss dem Pflegeheimverband Senesuisse bis ins Jahr 2030. Um diese Lücke zu füllen, müsse jährlich pro Kanton ein Heim mit 60 Betten gebaut werden, was Investitionen von 10 Milliarden Franken bedinge.
 

Zahl der freiwilligen Helfer nimmt ab
Viertens sei mit einem relativen Rückgang des freiwilligen Einsatzes von Angehörigen und Nachbarn zu rechnen, der bisher eine Reduktion oder eine Verzögerung der Heimeintritte ermöglicht habe. Heute leisteten diese Freiwilligen 100 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr zu Gunsten älterer Menschen. Meistens seien es Ehepartner, Kinder – primär die Töchter – und Jungrentner, die diese Leistungen erbrächten. Auch hier werde die Alterung der Gesellschaft die Anzahl potentieller Helfer signifikant reduzieren; von heute 2,3 Jungrentner pro 80+-Jährigem auf 1,3 Helfer im Jahre 2050.
 

Mittelfristige Finanzierung der Alterspflege ist ungewiss
Diese Veränderungen würden fünftens signifikante Kosten verursachen. Das Gesundheitsobservatorium Obsan schätze diese Kosten auf 18 Milliarden Franken im Jahre 2030, also zweieinhalb Mal so hohe wie 2007.

Diese Kosten würden privat, über Krankenkassenprämien und zunehmend auch über die öffentliche Hand – sprich Steuern – finanziert. Die wenigsten Bürger könnten sich auf Dauer Heimkosten von 50'000 bis 140’000 Franken pro Jahr leisten. Deshalb sei die Hälfte der 80+-Jährigen in Heimen auf Ergänzungsleistungen der Kantone und Gemeinden angewiesen. Ohne Gegensteuer sei die mittelfristige Finanzierung der Alterspflege aber ungewiss, warnt Cosandey.